Navigation überspringen

31. März 2011

Eine Reaktion von meinem Sohn Grischa auf den ›Schlag‹

Er schreibt:

»Das Gesicht erwächst aus dem Mantel der Abstraktion ganz ohne Störung. Man wundert sich keinen Moment über die Proportionsänderung, vielleicht weil wir dem Gesicht immer schon eine Antiproportionalität im Verhältnis zur Gesamterscheinung unseres Gegenüber beimessen: wir sprechen, erblicken uns von Angesicht zu Angesicht, in ihm lesen wir die erste Beziehung ab und von ihm aus fühlen wir uns einer ganzen Anwesenheit gegenüber. Was von oben aus gesehen wie ein Mantel der Figur wirkt, ist von unten aus dekliniert, eine Muschel, aber in diesem Bereich ist das Verhältnis zum geometrischen, schlagenden Argument der Figur, ein umhüllendes, umklammerndes. Am Kopf selbst scheint es zunächst, dass der Kopf auf dem Brett, um dass sich die ganze Figur schmiegt, ruht, wie zum Schlaf. Ganz oben erst am Brett öffnet sich der Schädel zu einem brutalen Spalt, kommen Brett und Figur konfrontativ zueinander.

Diese Abfolge und die vielen verschiedenen Momente ,die die Figur mit dem Brett erlebt, sind ein narratives Element – durch den emotionalen Impuls, der von dem Gesicht ausgeht, lässt sich eine Sprachlichkeit der Figur ausmachen: die Figur erzählt tatsächlich in Sequenzen wie bei einem Film oder Roman. Oben und unten, oder Kopf und abstrakte Form, korrespondieren so nicht nur in einem formalen Dialog, sondern eben auch in einer emotionalen Dramaturgie.

Der erhabene Ausdruck des Gesichts eröffnet diese Erzählung. Das eine Auge schläft zwar am Brett, ist schon nach innen gerichtet und tot, dafür ist aber das andere um so wachsamer, gerade auch weil es scheint, als würde es einen nicht anblicken: es sieht etwas nahen, das wir noch nicht gesehen haben. Der Mund bleibt geschlossen und zwar so vehement, dass man weiß, dass er schweigend bleiben wird – er wird uns nicht mitteilen, was da kommt, was er schon sieht und wir nicht – also wir nie. Es sei denn wir blicken uns einmal um, wen würden wir sehen, was käme dort? Wenn wir wieder zurück schauen in das Gesicht, wird es unverändert uns darüber Auskunft geben, dass wir es trotz unseres Schulterblicks nicht gesehen haben, oder es nicht verstanden haben – das Auge schaut hinter die Dinge, es ist selbst hinter den Dingen, es schaut vom tiefen, schwarzen Inneren aus der Figur heraus.

Das Ohr, von dem noch nichts gesagt wurde, hat eine ähnliche Geöffnetheit, fast wie ein lauschendes Mikrophon, alles vernehmend, aber in eine Ferne horchend, die wir nicht gewahr werden können. Man muss seinen Kopf immer nach rechts neigen, um das Gesicht ganz zu verstehen, so als müsste man diese Entrücktheit der Sinne, die aus der Figur entgegen kommt, auch mit dem eigenen Körper nachbilden. Wenn man sich das Ohr auf der anderen Seite weiterdenkt, so hört es ins Holz, ins Brett. Die ganze Figur ist aus Holz, klar, aber an dieser Stelle, kommt auch wieder gegenständliche Repräsentation, Symbol und Gegenstand selbst zusammen. Auf der dem Brett zugewandten Seite lauscht die Figur in das Brett, das bis in den Boden der konkreten Gegenständlichkeit am unteren Ende der Figur reicht. Wie das geschlossene, nach innen gewendete Auge und das offene, sind auch die Ohren, das eine in die Außenwelt lauschend, das andere ins Innere des Holzes, so entgegengesetzt, dass sie den Spannungsbogen der Erzählung zwischen den Retentionen, den Wiedererkennungslatenzen, die wir in das Ding legen und dem konkreten Antlitz des geformten Holzstückes, aufbaut.

Aber auch hier erweitert die 90-Grad-Drehung die Situation. Sinkt die Figur in geläufiger Leserichtung um so mehr aufs Brett und betont die zum Brett, zur Spaltung hingehende Tendenz, das Anschmiegende an den Schlag, so wird durch die Assoziation des am Brett angeschmiegten Lauschens, der Schlag umgekehrt dynamisiert, wie ein invertierter Blitzableiter, der aus dem Kopf in den Boden einschlägt und die Linie zurückführt an den Anfang der Figuration im abstrakten Bereich des unteren Endes. Das wiederum ist aber – durch das Niedergelegte der Figur- vom Boden der Umgebung abgehoben. Es deutet wiederum auf den Betrachter als Anwesenden, der die Figur aufheben soll, um sie aufzustellen. Aber er wagt es nicht, die Kraft, die Dynamik dieser Ambiguität, aufzulösen und ruhig zustellen. Hier ist das Kissen wichtig, das unscheinbare, ganz bescheidene Behütungskissen, dass dieser Machtlosigkeit des Aufrichtens Rechnung trägt und der Figur, wenn man sie schon nicht aufrichten kann, zumindest an dieser Stelle ein Stückchen Verbundenheit, als symbolische Geste des Bettens, zurück gibt.

Das Brett ist nicht nur selbst Vermittler, Werkzeug einer Geschichte, die vom Gesicht aus erzählt wird, sondern auch selbst Träger der ganzen angesprochenen Ambiguität. Das Holz, gewachsene organische Form und das Brett als das konstruktive geformte Element, stehen sich so gegenüber, wie das Gesicht als Schlafender und Lauschender. Wie eine Welle schlägt die umklammernde Hülle auf das plane Holz.

Schließlich macht man sich Gedanken über die Ruhestätte der Figur. Die gliedmaßenlose Figur mit dem erhabenen und entrückten, auffordernden Blick, überlässt uns die Aufgabe, die richtige Stätte zu finden. Dass man sie nicht in eine nackte weißwandige Zelle sperren dürfte, erklärt sich von selbst, weil da der Schulterblick, zu dem man aufgefordert wird, tatsächlich ganz ins Leere führt. So wünscht man sich für die Bettung einen geheimnisvollen, dunklen Ort, zu dem man hinunterkniet und sich vertieft.«